Nadeschdas gestickte Welt
Eine Ausstellung von Nadja Hormisch zu besuchen, die auch Nadeschda heißt, kommt einer Offenbarung gleich.
Nadeschdas Welt voller Geheimnisse: eine Welt gestickter, verborgener Botschaften.
Leise, fein und fast unmerklich werden Betrachterinnen und Betrachter auf poetische Flüge und tiefgründige Tauchgänge geführt. Es eröffnen sich vielschichtige, mehrdimensionale Stickfelder in abstrakter Auflösung von Formen mit grafischer Färbung.
Zart und subtil werden mit wenigen Gestaltungselementen Inhalte und Themen vollständig zutreffend dargestellt und offenbart. Dabei entfaltet die Verbindung von Sprache und Gestaltung eine geradezu mystische Ebene der bildnerischen Darstellung.
Nadja Hormisch läßt sich künstlerisch nicht unmittelbar festlegen. Die Art ihrer Darstellung erfolgt themenspezifisch, es entstehen unterschiedliche Werkgruppen und serielle Arbeiten, die sowohl abstrakt als auch figürlich sein können. Immer erkennt man jedoch die eigene Handschrift, den ureigenen Stil.
Manche Arbeiten verbinden Kindheitserinnerungen mit verspielter Lebensfreude. Die Reise führt Urwäldern gleich durch Tier- und Pflanzenreiche. Geborgene Landschaften atmen alte Eichenweisheiten, es singt der schwarze Vogel.
Mensch und Tier schauen mit eindringlichen, seelenvollen Blicken und geheimnisvoller Mimik in blaue Tiefe.
Die dunkle Nacht der Seele, ein Schwerpunkt von Nadeschdas Kunst. Golddurchwirkt und mondenschön glänzt feierlich das Sternenmeer und lädt ein, die Unendlichkeit zu erahnen. Die geistige Welt findet ihre Form in mutiger Durchsichtigkeit.
Lange Schatten vergangener Schmerzen wollten in vielen Kreuzen gestickt sein. Gefühltes Leid als nunmehr leicht Gesticktes bildet in transparenter Fadenführung die Seelenbrücken zur Heimat - bei gleichzeitig empfundener Heimatlosigkeit.
Das Farbenmeer mit den wogenden Buchstabenlandschaften erscheint wie eine trotzige Selbstbehauptung, durch machtvolle Kreativität dazumal verordnetes Stillschweigen zu durchbrechen. Worte und Zeichen zu finden, um vorgebliche „Schlußstriche“ aufzuheben.
Nadeschda überwindet mit ihren Arbeiten die Sprachlosigkeit. Durch Poesie und Kunst kommuniziert ihre bloße Seele mit der Welt, in transparenten Verhüllungen und seidig durchwirkten Schutzschichten - als Überlebensstrategie.
Virtuos spielt Nadja Hormisch auf der Klaviatur des ihrer Kunst zugrunde liegenden Handwerkes.
Techniken wie Kanthastickerei, Fadenmalerei und Reliefstickerei ergänzen die Experimente mit Pflanzen- und Naturmaterialien. Dabei wählt sie sowohl edle, kostbare Werkstoffe aus Haute Couture und Paramentik, wie auch Altes, zufällig Vorhandenes, Gelebtes und Abgelegtes. Stoffe und Papiere sind stets gleichberechtigt.
Erhabene Paillettenblumen, Knötchenlandschaften, bizarre Knotereien und Wollperlenkugeleien, Verschnürungen, Farbwolken, erdfarbene Collagen und Gewebe, ineinander weich verwobene Fäden: sie versteht es meisterhaft, in die Tiefen des Materials einzudringen.
„Schwebende Luftstickereien“, das wäre eine von vielen Beschreibungen dieser Sammlung gestickter, geflügelter Zärtlichkeiten.
Stickkunst höchster Güte – feinfädig und federleicht durchscheinend, die unsichtbaren Dinge darstellend.
Ein Kompass des Lebens und Überlebens aus dem Elfenland.
© Angelika Krohne // im Sommer 2023